17.02.2014

Der Klimawandel nach Galileo

Den Leserbrief im Januar von Herrn L. habe ich noch ignoriert. Der Schluss des Beitrags mit der Behauptung, dass Gott uns ganz bestimmt helfen wird, ist mir zwar ziemlich aufgestoßen, und ich hatte zwar einen ersten Entwurf für den Leserbrief fertig, aber irgendwie bin ich nicht dazu gekommen, ihn soweit abzuschließen, dass ich ihn dann abschicken wollte.

Dann kam aber diesen Dienstag (4. Februar) noch so ein schrecklicher Leserbrief. Darin behauptet Herr H., dass er aufgrund seiner antiautoritären Erziehung in der Lage ist, alles anzuzweifeln. Außerdem meint er, dass selbst eine große Menge von Menschen unrecht haben kann, und bringt dazu das Beispiel, dass der "einzelne" Wissenschaftler Galileo ja auch Recht gehabt hätte. Diese Analogie beruhigt ihn so sehr, dass er alle Studien, die den Klimawandel dem Menschen zuschreiben, getrost ignorieren kann.

Diese Ansammlung von merkwürdigen Aussagen musste ich dann aber doch kommentieren. Ich suchte den alten Entwurf wieder und ergänzte noch ein bißchen 'was, um auf beide Leserbriefe zu antworten.

Leserbrief zu Leserbriefen von Hr. L., WZ 03.01.14, und Hr. H., 04.02.2014

Herr L. und Herr H., meiner Meinung nach machen Sie denselben Fehler wie Herr G. in einem früheren Leserbrief. Ihr Standpunkt fußt auf genau einer Studie, und das ist eine Schwachstelle. Sie glauben, dies sei der derzeitige Wissensstand der Forschung. Empirie aufgrund einer einzigen Studie ist aber das exakte Gegenteil von Wissenschaft.

Ich finde es glaubwürdiger, wenn eine große Anzahl von Wissenschaftlern derselben Überzeugung ist und dazu Arbeiten veröffentlicht wurden. Wissenschaft gründet sich auf Nachvollziehbarkeit, und ich finde 4.000 Studien mit demselben Ergebnis in der Summe deutlich glaubwürdiger als eine einzelne mit einem gegensätzlichen Ergebnis. Selbst mit antiautoritärer Erziehung sollte man den Unterschied erkennen, ob ein Wissenschaftler etwas veröffentlicht, oder ob eine fünfstellige Zahl von Wissenschaftlern unabhängig voneinander übereinstimmend zum grundsätzlich selben Ergebnis kommen.

Kürzlich wurde eine interessante Zahl bekannt: die Summe an Geld, die von bekannten Lobbyorganisationen in der Zeit von 2003 bis 2011 bezahlt wurde, um Studien zu finanzieren, die den Klimawandel leugnen. Diese Summe beträgt unglaubliche 900 Millionen Dollar, also mehr als 600 Millionen Euro. Dieses Geld wurde ausgegeben, damit Firmen ihr umweltschädliches Geschäftsmodell weiter betreiben können.

Der Klimarat der UN, IPCC, hat von 2007 bis 2013 die Wahrscheinlichkeit, dass der Mensch die Verantwortung trägt, von 90 auf 95 % erhöht. Der Spiegel schrieb dazu letztes Jahr: "Wir haben kein Erkenntnisproblem, sondern ein Handlungsproblem".
Eine wissenschaftliche Einzelmeinung kann zu schrecklichen Verzerrungen führen: ein englischer Wissenschaftler stellte in den 90ern in einer Arbeit einen Zusammenhang zwischen Autismus und der MMR-Schutzimpfung her (Mehrfachimpfung gegen Mumps/Masern/Röteln). Später stellte sich heraus, dass die Arbeit vollkommen haltlos und die Ergebnisse größtenteils gefälscht waren. Sie wurde von einer Firma bezahlt, die Einzelimpfungen gegen diese Krankheiten herstellt. Bis heute hält sich leider unter Impfgegnern der Irrglaube, dass die Masernimpfung schuld an Autismus wäre. Der Schaden für die Glaubwürdigkeit der Fachzeitschrift "Lancet" war verheerend, der Aufsatz wurde zurückgezogen.

Besonders erschreckend finde ich, dass Sie, Herr H., als Gegenargument ausgerechnet Galileo nennen, der das heliozentrische Weltbild begründet hat. Er war einer der Vorreiter der modernen Wissenschaft, und gerade, weil seine Erkenntnisse so bestechend nachvollziehbar waren, konnten sie sich gegen den Widerstand der Kirche so schnell durchsetzen. Vollständig rehabilitiert wurde Galileo übrigens erst 1992 (z.B. dieser Artikel in Spektrum der Wissenschaft). Um genauer zu sein: die Welt nahm vom ptolemäischen Weltbild sehr schnell Abschied, nur bei der katholischen Kirche dauerte es etwas länger ...

Ich finde es absolut faszinierend, wie groß der Unterschied zwischen dem wissenschaftlichen Stand der Forschung und der öffentlichen Wahrnehmung ist. Die allermeisten wissenschaftlichen Experten sind nahezu einhellig einer Meinung, nämlich der, dass der Klimawandel definitiv menschgemacht ist. In der Öffentlichkeit und in den Medien wird aber nach wie vor nicht über Maßnahmen oder über die krampfhaften Versuche des Leugnens diskutiert, sondern immer noch darüber, ob es nicht auch andere Ursachen geben kann.

Nun gut, Wissenschaft besteht auch zum Teil darin, vorhandene Erkenntnisse anzuzweifeln - aber das sollte mit sachlichen Argumenten geschehen und nicht mit bezahlten Studien, bei denen das Ergebnis vorher schon feststeht. Und insbesondere sollten wir die Sache selbst anpacken und uns nicht darauf verlassen, dass Gott es schon irgendwie regeln wird. Religion ist eine moralische Richtschnur, an der wir unser Handeln orientieren können, aber handeln müssen wir selbst. Und mal ganz ehrlich: "die Erde untertan machen" heißt nicht, dass wir sie nach Belieben verdrecken und kaputtmachen dürfen.

[Update: abgedruckt am 18.02.14, den blau markierten Absatz wollte ich nachreichen, war aber zu spät.
Link zu MMR in Wikipedia nachgetragen.]

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